Quantcast
Channel: Persönlichkeitsentwicklung und Karriere neu gedacht » Burnout
Viewing all articles
Browse latest Browse all 10

Nach dem Burnout ist vor der Sinnsuche: Das zweite Leben der unsicheren Leistungsmenschen

$
0
0

What is real? How do you define real? Im Film “Die Matrix” hat der Held Neo die Wahl zwischen zwei Pillen. Nimmt er die blaue Pille bleibt die Welt ein von Robotern gestaltetes Konstrukt, schluckt er die rote Pille, so wird er erkennen, dass nichts ist, wie es scheint: In Wahrheit sind alle Menschen Teil einer großen Inszenierung. Nun hatte Neo keinen Burnout, aber dieser kann wie eine rote Pille wirken und zu der Erkenntnis führen, dass man sich eine Welt konstruiert hat, die ganz anders ist, als sie sich gibt. Manche verstehen plötzlich, dass die Arbeitswelt auf Abhängigkeiten gründet, die sie mitgestalten. Gerade unsichere Leistungsmenschen, so genannte Insecure Overachiever, sehen dann, dass sie irgendwo auch willfährige Opfer in diesem System sind. Sie haben sich reingehangen, um Resonanz, Anerkennung, vielleicht sogar Liebe zu erhalten. „Mein Chef zollt mir keine Anerkennung“, ist ein Zeugnis dieses vergeblichen Strebens. Es ging darum, sein Selbstbild aufrecht zu erhalten, denn gerade die unsicheren Leistungsmenschen haben oft ein Defizit.  Sie haben keinen inneren Kern, keine feste, eigene Identität, die in der Lage wäre sich abzugrenzen. So ist es kein Wunder, dass Beziehungen in Unternehmen oft Familienkonstellationen spiegeln…

Therapie ist Entwicklung

Therapeutische Arbeit ist immer Entwicklungsarbeit. Unter anderem durch „Nachbeelterung“ gleicht sie Defizite aus, durch die Erarbeitung neuer Denkweisen fördert sie die eigene Identität, durch Erlernen neuer Verhaltensweisen sorgt sie für Abgrenzung. Nach einem Armbruch geht das Leben weiter wie vorher, nach einem Burnout ist fast alles anders. Über das Leben nach dem Burnout hat Carola Kleinschmidt ihr wunderbares Buch “Burnout und dann?” mit vielen Erfahrungsgeschichten und Hintergrundinformationen geschrieben. Die Insecure Overachiever sind bei ihr Perfektionisten und Erfolgsgetriebene. Meiner Erfahrung nach ist deren Motivstruktur oft ähnlich: Sowohl Perfektionisten als auch Erfolgsgetriebene sind eher „Fremdanerkennungsmenschen“, haben also ein unsicheres Selbstbild. Unternehmen bevorzugen diese Leistungsmenschen. Viele davon investieren auch aus Angst vor Fehlern oder negativen Rückmeldungen lieber noch mehr in ihre Arbeit. Ihre Anpassungsbereitschaft ist hoch. Kritik – oder die Kritik anerkannter Bezugspersonen – verunsichert. Mit dem unsicheren Leistungsmenschen spielen viele Firmen bewusst und einige unbewusst. Und das System erhält sich selbst: Unsichere Leistungsmenschen stellen zum Beispiel gern ihresgleichen ein, weil sie vor selbstsicheren Menschen – die viel eher Grenzen setzen und eben nicht alles mitmachen – Angst haben.

Was aber passiert nach dem Burnout mit Ihnen? Der Burnout führt oft zu einem „Sinnes-Wandel“ im doppelten Sinn. Berufliche Neuorientierungen und Jobwechsel sind eine häufige Folge.

Fehlender Sinn führt zu Jobwechsel: Wer das System durchschaut, stellt es in Frage

Nach dem Burnout verstehen Leistungsmenschen sich durch die therapeutische Beschäftigung mit sich selbst besser. Sie lernen zu sich zu finden, zum Beispiel einfach mal Spazieren zu gehen – ohne Ziel, ohne Absicht. Sie nehmen Verbindung mit ihrem Körper auf, entwickeln Gesundheitsbewusstsein und Selbstfürsorge. Und merken dabei, dass ihnen jahrelang der Sinn fehlte. Sie sind im „Autopiloten“ geflogen, wie es im Achtsamkeitstraining heißt.

Viele lernen in dieser Zeit erstmals so etwas wie Selbstliebe, die nicht zu verwechseln ist mit narzisstischer Nabelschau. Das alles führt zu neuen geistigen und körperlicher Erlebnissen und sogar ganzheitlich-integralen und spirituellen Erfahrungen – und nicht selten auch dazu, dass sie das System grundsätzlich in Frage stellen.

Rückkehr in den alten Kontext wird für sie deshalb schwer. Eine berufliche Neuorientierung in der Burnout-Nachphase ist somit typisch. Viele suchen dann nach mehr persönlicher Wertstiftung, einige nach mehr Freizeit, viele wollen beides. Das führt zu Konflikten, da unsere Arbeitswelt darauf nicht eingestellt ist. Ich erinnere mich an eine Führungskraft, die bewusst ihren Reisejob aufgegeben hat, um eine Tätigkeit mit weniger Ansehen, aber örtlicher Stabilität anzunehmen. Das kam nicht gut an, sondern wurde immer wieder misstrauisch hinterfragt. Sehr gut möglich, dass Burnout-Patienten in der Ich-Entwicklung eine Stufe weiterkommen, was automatisch auch neue Werte mit sich bringt – und die bisherigen Lebenskonzepte, also auch Berufe und Tätigkeiten fundamental in Frage stellt. Wie der Burnout-Patient, der in der relativierenden Stufe plötzlich ganz viele unterschiedliche Perspektiven und Möglichkeiten sah. Dadurch war es ihm unmöglich geworden, in seinen früheren Job als Anwalt zurückzukehren, in dem dies gar nicht gefordert war. Nun war er darüber hinausgewachsen.

Manchmal kommt es auch vor, dass Menschen eine Art Charaktermaske abschütteln, die sie bisher durchs Leben getragen haben, die aber nicht ihrem Wesenskern entsprach. So kommt es nach einem so einschneidendenden Erlebnis wir dem Burnout zu einer Demaskierung und zu wirklich fundamental anderem Verhalten – so, wenn der kühl-rationale Manager plötzlich zum sozialen Helfer wird.

Falsch verstandene Rücksichtnahme und Ängste

Nach dem Burnout ist der Mensch meist jedoch nicht grundlegend anders. Burnout korreliert mit Persönlichkeitsdispositionen wie „Instabilität“ bzw. „Neurotizismus“ in den Big Five. Er ist auch typisch für Menschen mit hohem Anerkennungsstreben. Diese und andere Merkmale bleiben stabil, sie werden nur neu interpretiert.

Wer sein Selbstbild vor allem durch andere aufbaut, tut dies oft auch danach noch. Aber natürlich gilt das auch für andere Leistungsmerkmale: Wer gewohnt ist, auf Hochtouren zu fahren, wird nicht auf einmal langsam. Dies sei einer der Irrtümer vieler Führungskräfte, schreibt Kleinschmidt. Entweder sie platzieren ihre Ex-Burnout-Patienten auf weniger stressige Jobs und reduzieren die Arbeit so stark, dass eine Unterforderung entsteht – oder/und sie verhalten sich übertrieben rücksichtsvoll. Natürlich hat ein Chef auch eine Fürsorgepflicht. Wie der Job nach dem Burnout gestaltet sein sollte, gilt es aber gemeinsam herauszufinden. Wichtig ist hier die regelmäßige Reflexion.

Wer nach einem Burnout den Job wechselt oder eine weniger „exponierte“ Stellung angenommen haben, ist automatisch mit Fragen konfrontiert.  Selbst im Assessment Center – von Psychologen durchgeführt, die eigentlich einen anderen Blick haben sollten – ist das meiner Erfahrung nach immer wieder Thema. Anstatt die Chancen zu sehen, die die Einstellung eines durch Burnout gereiften Menschen mit sich bringt, wird auf die Defizite eines solchen Kandidaten geschaut. Bei einer Kundin, die so ein AC neulich erlebte, wurde die Motivation für einen internen Job akribisch hinterfragt – Burnout-Verdacht. Aus der Vergangenheit habe ich gelernt, dass Menschen, die offen mit ihrer Diagnose umgehen, Absagen riskieren. Wir sind noch nicht so weit, auf die Chancen zu blicken. So bleibt oft nur, Gründe zu nennen, die „kompatibel“ und irgendwie plausibel sind. Personaler haben die rote Pille ja noch nicht genommen…

burnout

 

Das Buch:

Carola Kleinschmidt hat nach ihrem Bestseller „Wenn der Job krank macht“ bei Kösel mit „Burnout und dann?“ ein gut leserliches Sachbuch mit lebendigen Fallbeispielen geschrieben. Leser, die selbst Burnout hatten, werden sich wiedererkennen und gute Tipps erhalten. Experten bekommen Hintergrundwissen und Anregungen. Nicht zuletzt lege ich dieses Buch aber auch allen nahe, die das Thema und damit auch ihre Mitarbeiter besser verstehen wollen – gerne auch prophylaktisch also vor dem Burnout.

 


Viewing all articles
Browse latest Browse all 10

Latest Images





Latest Images